Kindertotenlieder (1901-4)

  1. Nun will die Sonn' so hell aufgehn
  2. Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
  3. Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein
  4. Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen
  5. In diesem Wetter, in diesem Braus

Three Rückert Songs (1901-2)
from an original collection of five


1. Nun will die Sonn' so hell aufgehn

Nun will die Sonn' so hell aufgehn,
Als sei kein Unglück die Nacht geschehn!
Das Unglück geschah nur mir allein!
Die Sonne, sie scheinet allgemein!

Du musst nicht die Nacht in dir verschränken,
Musst sie ins ew'ge Licht versenken!
Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt!
Heil sei dem Freudenlicht der Welt!

2. Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen

Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
Ihr sprühtet mir in machem Augenblicke.
O Augen! O Augen!
Gleichsam, um voll in einem Blicke
Zu drängen eure ganze Macht zusammen.

Doch ahnt' ich nicht, weil Nebel mich umschwammen,
Gewoben, vom verblendenden Geschicke,
Daß sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke,
Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen.

Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen:
Wir möchten nah dir bleiben gerne!
Doch ist uns das vom Schicksal abgeschlagen.
Sieh' uns nur an, denn bald sind wir dir ferne!

Was dir nur Augen sind in diesen Tagen:
In künft'gen Nächten sind es dir nur Sterne.

3. Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein

Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein,
Und den Kopf ich drehe, ihr entgegen sehe,
Fällt auf ihr Gesicht erst der Blick mir nicht,
Sondern auf die Stelle, näher nach der Schwelle,
Dort, wo würde dein lieb Gesichten sein,
Wenn due freudenhelle trätest mit herein,
Wie sonst, mein Töchterlein.

Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein,
Mit der Kerze Schimmer, ist es mir, als immer
Kämst due mit herein, huschtest hinterdrein,
Als wie sonst ins Zimmer!
O du, des Vaters Zelle,
Ach, zu schnell erloschner Freudenschein!

4. Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen

Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen!
Bald werden sie wieder nach Hause gelangen!
Der Tag ist schön! O sei nicht bang!
Sie machen nur einen weiten Gang!

Jawohl, sie sind nur ausgegangen
Und werden jetzt nach Hause gelangen!
O, sei nicht bang, der Tag is schön!
Sie machen nur den Gang zu jenen Höh'n!

Sie sind uns nur vorausgegangen
Und werden nicht wieder nach Hause gelangen!
Wir holen sie ein auf jenen Höh'n
Im Sonnenschein!
Der Tag is schön auf jenen Höh'n!

5. In diesem Wetter, in diesem Braus

In diesem Wetter, in diesem Braus,
Nie hätt' ich gesendet die Kinder hinaus!
Man hat sie getragen hinaus,
Ich durfte nichts dazu sagen!

In diesem Wetter, in diesem Saus,
Nie hätt' ich gelassen die Kinder hinaus,
Ich fürchtete sie erkranken;
Das sind nun eitle Gedanken,

In diesem Wetter, in diesem Graus,
Nie hätt' ich gelassen die Kinder hinaus,
Ich sorgte, sie stürben morgen;
Das ist nun nicht zu besorgen.

In diesem Wetter, in diesem Graus,
Nie hätt' ich gesendet die Kinder hinaus,
Man hat sie hinaus getragen,
Ich durfte nichts dazu sagen!

In diesem Wetter, in diesem Saus,
In diesem Braus,
Sie ruh'n als wie in der Mutter Haus,
Von keinem Sturm erschrecket,
Von Gottes Hand bedecket,
Sie ruh'n wie in der Mutter Haus.

Um Mitternacht

Um Mitternacht
Hab' ich gewacht
Und aufgeblickt zum Himmel;
Kein Stern vom Sterngewimmel
Hat mir gelacht
Um Mitternacht.

Um Mitternacht
Hab' ich gedacht
Hinaus in dunkle Schranken.
Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost gebracht
Um Mitternacht.

Um Mitternacht
Nahm ich in acht
Die Schläge meines Herzens;
Ein einz'ger Puls des Schmerzes
War angefacht
Um Mitternacht.

Um Mitternacht
Kämpft' ich die Schlacht,
O Menschheit, deiner Leiden;
Nicht konnt' ich sie entscheiden
Mit meiner Macht
Um Mitternacht.

Um Mitternacht
Hab' ich die Macht
In deine Hand gegeben!
Herr! über Tod und Leben
Du hälst die Wacht
Um Mitternacht!

Ich atmet' einen linden Duft!

Ich atmet' einen linden Duft!
Im Zimmer stand
Ein Zweig der Linde,
Ein Angebinde
Von lieber Hand.
Wie lieblich war der Lindenduft!

Wie lieblich ist der Lindenduft!
Das Lindenreis
Brachst du gelinde!
Ich atme leis
Im Duft der Linde
Der Liebe linden Duft.

Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!


German text excerpted from The Lied and Song Texts Page with layout modified.